Mit „Witness“, einem Projekt, das 2009 von Manfred Länger konzipiert wurde, wagten wir uns als Chor an ein schweres und fälschlicherweise als abgeschlossen geglaubtes Kapitel der Menschheitsgeschichte – Sklaverei. Ein Bericht von Joy Muth über das vergangene Semesterprojekt der Neuen Wiener Stimmen.
Vier intensive Konzerte, eines im Kulturzentrum Eisenstadt und drei im MuTh in Wien aufgeführt, machten das Publikum zu Zeugen von Geschichten und Erzählungen, die im Einklang mit der wunderbar darauf abgestimmten Musik tief unter die Haut gingen.
Trotz unserer jugendlichen Unbeschwertheit scheuen wir als Chor nicht davor zurück, auch ernste Themen aufzugreifen, zu erarbeiten und schließlich durch unsere Konzerte unter die Menschen zu bringen. Mit unserer Musik wollen wir nicht einfach nur begeistern, sondern auch einen Nachklang erzeugen, der so schnell nicht mehr aus den Köpfen verschwindet.
Fragt man heutzutage nach Assoziationen zu Sklaverei bekommt man (trotz politischer Inkorrektheit) am allerhäufigsten das Wort „Schwarze“ zu hören. Aber auch „psychische und physische Gewalt“ sowie „Ausbeutung“ werden mit diesem Begriff verbunden. Obwohl das Thema in den Köpfen der Leute durchaus einiges aufwühlt, scheint es in unserem Alltag bei den meisten nicht vorhanden, völlig ausgeblendet zu sein. Vor allem die jüngeren Generationen, die bereits in der Volksschule mit einem sündteuren Smartphone prahlen, scheinen sich wenig bis keine Gedanken darüber zu machen, wo das Produkt herkommt und unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde – das sollte so definitiv nicht sein.
Die vier kurzweiligen, aber dennoch packenden Konzerte waren geprägt von der intensiven Probenarbeit, die ihnen vorangegangen war. Beschäftigt man sich ein ganzes Semester lang mit den Anfängen und Auswirkungen der Sklaverei auf Menschen und Länder und ist man gezwungen, darüber nachzudenken, in welchen Kontexten auch heute noch Sklaven existieren, verwundert es wenig, dass jede einzelne Stimme im Chor nicht einfach nur musiziert, sondern auch das gesamte Gewicht dieser Ungerechtigkeit in die Töne, Rhythmen und Texte legt. Ermöglicht durch unseren Kooperationspartner Jeunesse und mit Hilfe von Tänzerinnen der Tanzwerkstatt Wien sowie Manfred Länger höchstpersönlich, der den Part des Erzählers übernahm, wurde im Publikum das Bewusstsein dafür geweckt, die Augen nicht verschließen zu dürfen.
Trotz des aufwühlenden Themas, das durch die stimmige Musik auch einiges an Betroffenheit und emotionaler Reaktionen auslöste, hinterließen die Konzerte keinen abschreckenden Eindruck auf die Zuhörer*innen. Viel eher schienen einige sehr bewegt, nun einen derartigen Denkanstoß erhalten zu haben. Die Rückmeldungen, die der Chor erhielt waren vielfältig; es wurde sowohl die musikalische Inszenierung und Qualität des Chores gelobt, als auch die Aufbereitung des Themas, das zwar „heftig“ gewesen war, nicht aber ein Gefühl von hilfloser Wut, sondern vielmehr Hoffnung vermittelt hatte.
Auch das Schülerkonzert in Wien und unser Konzert in Eisenstadt, bei welchem mehrere Schulklassen anwesend waren, hinterließen einen offensichtlichen Eindruck. Da die Aufmerksamkeitsschwelle und Motivation der jüngeren Generationen oft niedrig geglaubt ist, gingen wir mit der Erwartung in unsere Vorstellungen, möglicherweise nicht nur auf offene Ohren zu stoßen. Umso schöner war es dann zu sehen, wie selbst in den anfänglich unruhigeren Ecken des Saals Betretenheit einkehrte, die Jugendlichen nachdenklich den Kopf in die Hände stützten und bei besonders unbegreiflichen Momenten der Erzählungen ihre Erschütterung nicht verbergen konnten.
Nicht nur bei unserem Publikum, auch bei uns selbst hat dieses Programm etwas ausgelöst. Wir sind uns nun noch ein Stück weit mehr bewusst, wie gut wir es eigentlich haben. Wir denken nun noch ein Stück weit mehr darüber nach, was wir tatsächlich brauchen und was nicht, wo etwas herkommt und was jeder und jede Einzelne dafür tun kann, die Welt zu einem gerechteren Ort zu machen. Denn, wie Phil Collins bereits gesungen hat: „Think twice – ‘cause it’s another day for you and me in paradise!” Und dafür sind wir dankbar.