„Witness“ Urheber, Regisseur und Moderator Manfred Länger erzählte im Interview mit dem Medienteam der Neuen Wiener Stimmen über ein unbeabsichtigt politisches, zutiefst beseelendes Projekt, das dazu einlädt, Zeuge zu sein.
Bei all den Missständen in der Welt, warum beschäftigt sich „Witness“ genau mit Sklaverei?
Lustigerweise ist das über die Musik entstanden. Weil wir gesagt haben, wir wollen Spirituals machen, weil das gut bei Jugendlichen ankommt. Dadurch, dass ich dann die Geschichte der Sklaven seinerzeit erzählen wollte, fand ich, dass man auch die Geschichte von den Sklaven heute erzählen muss. Da hab ich mir gedacht – das machen wir jetzt! Da gabs dann auch kein Zurück mehr. Also die Idee hat mich schon gefangen genommen. Und damit ist das dann ein bisschen gekippt, von einem Musikvermittlungsprogramm mehr in die politische Aussage. Was mich überhaupt nicht gestört hat. Ich hab das einfach so machen müssen. Im Grunde genommen ist der Reichtum des Westens ziemlich aufgebaut auf Kosten der anderen Leute, das wollte ich auch vermitteln.
Die Problematik der Sklaverei wird im Programm durch vier Geschichten veranschaulicht. Wie sind sie ausgewählt worden?
Das hat sich alles immer so entwickelt. Eine Geschichte hab ich gelesen, dann hab ich mir gedacht: „Na, die Geschichte erzähl ich. Die muss ich den Leuten erzählen! Wenns mich da schon beim Lesen so packt. Wenn ich das erzähle, das hat einfach eine irrsinnige Kraft.“ Dann hab ich ein zweites Buch gefunden, da hab ich mir auch gedacht – das muss ich vorlesen! So sind immer wieder Zwänge aufgetaucht, welche Inhalte unbedingt im Programm sein müssen.
Welche Bedeutung hat die finale Geschichte für das Programm und wie bist du auf diese gekommen?
Mit der Schlussgeschichte habe ich lange gerungen. Wir steigen in „Witness“ über den geschichtlichen Background ein. Dann kommen absurde Tagebucheinträge, bei denen die Leute mal durchschnaufen müssen, wenn sie hören, wie mit den Sklaven umgegangen wurde. Dann kommt die Geschichte von Mudhakar, dem Jungen im Steinbruch, die so nahegeht und dann ist halt die Frage: Was macht man mit der ganzen Situation? Wo es dem Publikum schlecht geht, wo es mir schlecht geht. Wie kommt man da wieder raus? Ich hatte so Ideen gehabt, diese Wut rauszuschreien oder die Leute aus dem Saal zu jagen. Jetzt lache ich darüber, weil eigentlich hat es keinen Sinn. Ein Christoph Schlingensief hätte wahrscheinlich die Leute noch beschimpft und ihnen gesagt, dass sie Schuld daran sind aber das bringt halt nichts. Wenn ich einen Kaffee bestelle und der ist nicht fair-trade kann ich gleich Asche auf mein Haupt werfen und sagen, ich beute die Leute aus. Also wir sind in einer blöden Situation, irgendwie. Und während „Witness“ sind wir in einer ganz blöden Situation, weil da sind wir mittendrin. Da hab ich mir gedacht, was man machen kann ist, dass man die Leute wieder aufbaut. Dass jeder nach dem Konzert rausgeht und sich denkt: Ja, ich kann was machen, ich kann etwas tun.
Was kann man denn tun? In unserer Situation? Eigentlich fühlt man sich ja ganz weit weg von dem Ganzen, ein bisschen abgetrennt.
Die Trennwand, denke ich, ist bewusst gezogen. Von jenen wirtschaftlichen Akteuren, die davon profitieren. Man kann sich ganz leicht informieren. Nur glaub ich nicht, dass das gefördert wird. Das ist mein Verdacht. Aber zurückgehend auf deine Frage, was kann man tun? Schlussendlich muss es jeder für sich selbst entscheiden. Ob man es schafft, was zu tun, ob man Lust hat, was zu tun, ob es einem wichtig ist, was zu tun. Es fängt vielleicht einmal einer an, sich darüber Gedanken zu machen, woher etwas kommt, also beim Einkaufen beispielsweise. Das wäre schon mal gut. Schlimm wäre es, wenn man einfach nur rausgeht und ein schlechtes Gewissen hat und ein schlechtes Leben führt, weil man aus lauter Frust nur noch Blödsinn macht. Ich hoffe, dass sich durch diese vierte Geschichte jeder selber Gedanken darüber macht, was er eigentlich tun kann. Und ich kann es natürlich niemanden abnehmen. Ich kann nur die letzte Geschichte erzählen, wo zwei 16-jährige Jugendliche beschließen, was sie tun werden.
Die zwei 16-Jährigen beschließen in der finalen Geschichte, Zeugen zu sein. Das ist ja offensichtlich ein ganz zentrales Motiv, schließlich ist auch der Titel der Performance „Witness“, also Zeuge. Was bedeutet es, Zeuge zu sein?
Wenn du eingeladen wirst, als Zeuge auszusagen, dann hast du irgendwas gesehen, dann weißt du irgendwas. Dann hast du irgendwas erlebt, wovon du Zeugnis ablegen kannst. Ich hoffe, dass die Leute rausgehen und durch „Witness“ etwas erlebt haben. Mehr ist es nicht. Sie wissen nach „Witness“ mehr. Und sie haben Gefühle erlebt, die sie in der Form vielleicht noch nicht gehabt haben. Es geht auch am Anfang darum, Zeugnis abzulegen, über das was du weißt, und über das, woran du glaubst, sozusagen wofür du einstehst. Darum geht’s glaub ich schon. Dass man sich selber überlegt: Was ist mir wichtig?
Also das Ziel von „Witness“ ist eigentlich, das Thema dem Publikum bewusst zu machen? Und zu mehr kann man die Leute sowieso nicht zwingen…
Genau, ich kann sie nur bis zum Schlussapplaus begleiten. Ich will den Leuten nicht das Leben schwer machen aber manche Leute haben ein schweres Leben und Solidarität muss man ein bisschen einfordern, das versteht sich nicht von selber.
„Witness“ gibt es ja nun schon seit 9 Jahren. Warum kann man „Witness“ immer wieder auf die Bühne bringen?
Ja das frag ich mich auch, eigentlich. Seinerzeit hab ich mir gedacht, das machen wir jetzt, und irgendwann wird es sich erledigt haben. Natürlich werden die Zahlen der Slavery Organisations, die das Ganze bewerten, immer genauer. Effektiv verwende ich immer höhere Sklavenzahlen. Wir sind jetzt bei 40 Millionen, angefangen habe ich bei 12 Millionen. Und ich fürchte ja es wird weiterhin seine Bedeutung haben. Solang es Sklaven gibt, kann man „Witness“ machen. Ich hoffe natürlich, dass ichs nicht mehr machen brauch.
Hattest du Sorgen bevor „Witness“ das erste Mal aufgeführt wurde? Worüber hattest du Bedenken?
Natürlich steckt in diesem Projekt viel Botschaft drinnen, viel Appell. Weit mehr, als wenn man die Lieder nur singt, und die Kunst für sich stehen lässt. Das ist das Gefährliche dran, dass es Leute ablehnen könnten, weil sie es zu moralisch finden. Moralapostel haben keine Wirkung, sondern sie schrecken ab. Da wenden sich die Leute vom Thema ab, wenn ich mit der Moral komme und direkt was bewirken will. Deswegen muss es möglichst nahe bei mir bleiben. Dann erleben die Leute, wie es mir geht dabei. Und wenn sie das erleben, dann geht es ihnen vielleicht auch so.
Ist das auch ein Grund, warum du mit auf der Bühne stehst? Damit das Ganze möglichst nahe an dir bleibt?
Irgendwer muss ja die Geschichte erzählen. Moderationen hab ich immer selber gemacht. Andererseits denke ich, wenn man jemanden ins Tal der Tränen hineinführt ist es gar nicht schlecht, wenn eine Bezugsperson da ist, die das macht. Im Grunde bin ich die zentrale Erzählfigur, mit der man das miterleben kann. Dadurch bin ich natürlich sehr nackt, sehr preisgegeben, auch dem Publikum gegenüber. Aber ich gehe schon bewusst den Weg, meine Beteiligung nicht zu unterdrücken. Was ich schon kann, aber bei diesem Projekt will ich das nicht.
Worauf sollte sich das Publikum bei „Witness“ einstellen?
Blockieren wäre schade. Ich glaube da nimmt man sich selbst die Chance, etwas nahe an sich herankommen zu lassen. Es endet ja nicht negativ. Es endet eigentlich positiv, sodass man aufrecht wieder hinausgeht. Aber natürlich bleibt ein bisschen der Wurm drinnen hängen. Man darf sich halt keine lustige Show erwarten. Das ist wahrscheinlich falsch. Sonst würde ich sagen, wenn man mit offenen Ohren und offenen Herzen hineingeht, dann wird man beseelt wieder herauskommen, glaube ich.
Die nächsten Möglichkeiten, sich von „Witness“ beseelen zu lassen gibt’s im Jänner:
- 18. Jänner 2018, 19:30: „Witness“, Kulturzentrum Eisenstadt – Infos & Tickets
- 22. Jänner 2018, 18:00/20:30: „Witness“, MuTh Konzerthaus der Wiener Sängerknaben – Infos & Tickets
Fotos:
* Manfred Länger hat die Erlaubnis, das verwendete Foto zu werblichen Zwecken zu nutzen durch Fotograf Franz Jachim erhalten.
Titelfoto (c) Stephan Herzog